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Ansprachen zur Verleihung des Menschenrechtspreises

Montag, 23.05.2016

Zur Ehrung von Dr. Volker Türk als Menschenrechtspreisträger der Universität Graz - Begrüßung durch Rektorin Univ.-Prof. Christa Neuper, Laudatio von Univ.-Prof. Wolfgang Benedek, Dankesrede von Dr. Volker Türk, Stellvertretender UN-Flüchtlingshochkommissar für Schutzfragen

Begrüßung durch Rektorin Univ.-Prof. Christa Neuper:

Hohe Festversammlung!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Als Rektorin der Karl-Franzens-Universität Graz habe ich heute die große Ehre, Sie zu einer ganz besonderen Festveranstaltung begrüßen zu dürfen. Mit großer Freude können wir heute die siebente Verleihung des Menschenrechtspreises der Karl-Franzens-Universität Graz an eine hervorragende Persönlichkeit vornehmen.
Ganz besonders herzlich begrüße ich daher - gemeinsam mit seinen Angehörigen, Freunden, Bekannten und Wegbegleitern - die hochgeschätzte Persönlichkeit, der unser heutiger Festakt gilt:

Herrn  Dr. Volker  T ü r k,
Stellvertretender UN-Flüchtlingshochkommissar für Schutzfragen.


Der Menschenrechtspreis gehört zu den bedeutendsten Auszeichnungen, die von der Karl-Franzens-Universität Graz vergeben werden. Erst sechs Mal wurde er seit 1992 für herausragende Verdienste um Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden verliehen. Darunter an bekannte Persönlichkeiten wie den Dalai Lama, Simon Wiesenthal und Daniel Barenboim.

Der Menschenrechtspreis ist Ausdruck der gesellschaftlichen Aufgabe, die unsere Universität als zweitälteste Universität in Österreich erfüllt. Forschung und Lehre widmen sich dabei den Menschenrechten aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Von JuristInnen über TheologInnen bis hin zu SoziologInnen setzen sich viele WissenschafterInnen mit dem Zusammenleben in Vielfalt auseinander.

Heute steht nun Herr Dr. Volker Türk in der würdigen Reihe der Empfängerinnen und Empfänger des Menschenrechtspreises. Die Verleihung des Preises an Herrn Dr. Türk ist auch ein Signal, sich in der Flüchtlingsthematik zu engagieren. Unsere WissenschafterInnen und Studierende haben im Vorjahr sehr rasch ein Maßnahmen-Paket geschnürt, um anerkannten Flüchtlingen und AsylwerberInnen den Zugang zu Bildung zu erleichtern. Auch dieser Einsatz wird mit dem heute verliehenen Preis gewürdigt.

 

Laudatio von Univ.-Prof. Wolfgang Benedek, Leiter des UNI-ETC:

 

Sehr geehrte Frau Rektorin und VizerektorInnen, verehrte Frau Dekanin und Herren Dekane, geschätzte Vertreter der öffentlichen Institutionen, liebe Eltern und Familie von Volker Türk, hohe Festversammlung!

Ich freue mich sehr, heute die Ehre zu haben, einige Worte zu den Motiven für die Verleihung des Menschenrechtspreises unserer Universität an Herrn Dr. Volker Türk, Stellvertretender Flüchtlingshochkommissar für Schutzfragen, sowie zum Lebenswerk und der Persönlichkeit des Auszuzeichnenden sagen zu dürfen.

Der Vorschlag kam vom Europäischen Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie der Universität, das seit seiner Gründung vom Rektorat mit der Betreuung des Menschenrechtspreises betraut ist. Verliehen wird der Menschenrechtspreis für herausragende Verdienste um Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden bzw. die Menschenrechte im Allgemeinen. Zuletzt ging der nur alle 4-5 Jahre verliehene Menschenrechtspreis unserer Universität an den Pianisten und Dirigenten Daniel Barenboim, Leiter des West-Östlichen Divan Orchesters, für seine Versöhnungsarbeit im Nahen Osten.

Volker Türk erhält unseren Menschenrechtspreis für seine Verdienste für den Schutz von Flüchtlingen weltweit, in Anerkennung seiner jahrzehntelangen Arbeit, die ihn an die Spitze des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen geführt hat. Mit dem Flüchtlingshochkommissariat, insbesondere seinem Büro in Österreich, sind wir über die Grazer Refugee Law Clinic, die 2001 eingerichtet wurde, schon seit vielen Jahren eng verbunden. Dessen aktueller Leiter Christoph Pinter fungiert seit Jahren zusammen mit Wolfgang Taucher, dem Leiter des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, als Co-Leiter dieser bei unseren Studierenden sehr beliebten Lehrveranstaltung, an der auch viele andere PraktikerInnen beteiligt sind. Beide waren in der Vergangenheit Studierende bzw. Mitarbeiter am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen. In Anbetracht des großen Bedarfes besteht nunmehr die Absicht, die heute unter der Leitung von Stefan Salomon stehende Refugee Law Clinic zu einem vollen Lehrgang zur Ausbildung von FlüchtlingsberaterInnen auszubauen.

In diesem Zusammenhang darf ich schon jetzt zu dem von der Refugee Law Clinic vorbereiteten Workshop mit Volker Türk, aber auch Bernd Körner, dem Stellvertretenden Exekutivdirektor von FRONTEX und Absolventen unserer Universität, Peter Webinger, dem Stellvertretenden Sektionsleiter für Asyl und Migration im Innenministerium, und Franz Küberl, dem Direktor der Caritas Graz-Seckau, am Nachmittag um 14.30 Uhr im Sitzungszimmer der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, sehr herzlich einladen.

Nun darf ich zu Volker Türk selbst kommen: Volker Türk wurde 1965 in Linz geboren. Sein vorbildhafter Lebensweg soll hier kurz geschildert werden, auch als Beispiel für unsere Studierenden. Vor etwas mehr als 30 Jahren begann Volker Türk zuerst als Assistent am Institut für Strafrecht in Linz und dann am Institut für Völkerrecht in Wien, wo er seine Doktorarbeit über „Das Flüchtlingshochkommissariat und dessen Mandat“ bei den Professoren Hafner und Nowak verfasste. Die Arbeit wurde für seinen weiteren Lebensweg bestimmend. Nach einem Praktikum in der Abteilung für Internationalen Schutz des UNHCR in Genf 1990 erhielt er schon 1991 seine erste Verwendung beim Flüchtlingshochkommissariat als Protection Officer in Kuwait nach dem ersten Irakkrieg, wo er unter anderem für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft zuständig war und zuletzt das ganze Büro zu leiten hatte. Die Möglichkeit dazu hatte ihm das Junior Professional Officer (JPO) – Programm des Außenministeriums erschlossen, das seinerzeit von Gesandten Dr. Walther Lichem bereut wurde, der heute unter uns weilt und den ich damit herzlich begrüßen möchte.

Daran schlossen sich Stationen im Regionalbüro des UNHCR für Europa in Genf, wo er für Rechtsfragen zu Zentral- und Osteuropa zuständig war und der Abteilung für Internationalen Schutz als Rechtsberater bis 1997 diente.

In diesem Jahr wurde er Assistent Chief of Mission des Büros des UNHCR in Sarajewo, wo er mit Flüchtlingsfragen nach dem Dayton-Abkommen, aber auch mit dem Zustrom von Flüchtlingen aus dem Kosovo befasst war, in dem er unmittelbar nach Ende des Krieges 1999 tätig wurde – er hatte sich dort um Flüchtlinge, Vertriebene, Rückkehrer und Minderheiten zu kümmern. Danach war er auch noch im Kongo tätig, wo der Bürgerkrieg neue Flüchtlingsströme verursacht hatte.

Vom Kosovo ging es im Jahr 2000 zurück nach Genf, wo Volker Türk die Abteilung für Schutzpolitik und Rechtsberatung übernahm und vier Jahre leitete; in diese Zeit fielen die „Global Consultations on International Protection“, für die er zuständig war und damit die Neuausrichtung des UNHCR mitgestalten konnte.

Von 2004-2008 zog es ihn nochmals ins Feld, dieses Mal nach Kuala Lumpur in Malaysien, wo er das Büro des Hochkommissars leitete, das eine regionale Rolle für die asiatisch-pazifische Region hatte.

Danach kam er endgültig zurück in die Zentrale in Genf, wurde erst Direktor des Büros für Organisationsentwicklung und Management des UNHCR und war somit auch für die Reform des UNHCR mitverantwortlich und dann Direktor der Abteilung für Internationalen Schutz, die er von 2009-2015 leitete. Damit war er bereits in die oberste Verantwortungsebene eingebunden und für alle Bereiche des Schutzes, einschließlich die Hilfe für intern Vertriebene, die Suche nach dauerhaften Lösungen, die Zusammenarbeit mit dem Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen und anderen Organisationen sowie Beratung in allen völkerrechtlichen Fragen zuständig. So trat er etwa vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in bekannten Fällen als amicus curiae auf.

Seit Februar 2015 ist Volker Türk Stellvertretender Hochkommissar für Flüchtlinge und damit derzeit der höchstrangige Österreicher in den Vereinten Nationen.

In all diesen Jahren war er immer auch wissenschaftlich tätig und hat eine lange Reihe von Publikationen veröffentlicht, zuletzt in unserem European Yearbook on Human Rights, das dieses Jahr einen Flüchtlingsschwerpunkt aufweist.

Er unternahm unzählige Reisen, die ihn in alle Krisenregionen unserer Welt führten, wo er zum Beispiel Verhandlungen mit Regierungen über eine Verbesserung der vorherrschenden Situation führte. Regelmäßig berichtet er dem Exekutivkomitee des UNHCR über die Lage der heute etwa 60 Millionen Menschen, die gezwungen waren ihre Heimat zu verlassen.

Das Thema „Flüchtling“ habe ihn nie losgelassen, sagte er der Presse in einem Interview im letzten Jahr – aber auch das Thema „Menschenrechte“, dem er schon als 15-jähriger Schüler im Linzer Khevenhüllergymnasium beschloss sein Leben zu widmen, nachdem die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte im Englischunterricht behandelt worden war. Ein wichtiges Menschenrecht ist bekanntlich das Recht auf Asyl.

Als Student der Rechtswissenschaften in Linz und Wien kam er mit StudienkollegInnen in Kontakt, die nach Österreich geflüchtet waren und lernte so ihre Probleme kennen. Er wurde auch freiwilliger Mitarbeiter von Amnesty International. Heute bemüht sich unsere Universität Flüchtlingsstudierenden zu helfen und sieht darin einen wesentlichen Aspekt ihrer sozialen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft.

Mit Volker Türk wird auch die internationale Organisation, der er schon so lange dient, ausgezeichnet. Das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen hat für seine Arbeit schon zwei Mal, im Jahre 1954 und 1981, den Nobelpreis erhalten. Es hat die zentrale Rolle in der internationalen Flüchtlingshilfe inne und verwaltet mit 9.000 MitarbeiterInnen in 123 Ländern heute ein Budget von etwa 7 Mrd. Dollar. Weltweit bestehen ungefähr 250 Büros, so auch ein Büro in Wien, das von Christoph Pinter geleitet wird, der heute aufgrund eines großen Treffens aller Büros in Genf leider nicht bei uns sein kann. Das Flüchtlingshochkommissariat ist nicht nur für die aktuell etwa 15 Mio. Flüchtlinge zuständig, sondern unterstützt auch die etwa 38 Mio. intern Vertriebenen und auch die Menschen, die von Staatenlosigkeit betroffen sind. Es leistet dabei nicht nur Nothilfe, sondern sucht auch nach dauerhaften Lösungen für die Flüchtlinge, wie Ansiedlung oder Umsiedelung.

So wird auf der Webseite des Wiener Büros aktuell über Luftangriffe auf Flüchtlingslager in Syrien sowie über die Fluchtbewegung aus dem Südsudan in Nachbarländer berichtet, aber auch die Sorge über die Einschränkung des Flüchtlingsschutzes in Österreich zum Ausdruck gebracht. Die Stimme des UNHCR in Österreich zu verstärken, ist auch ein Ziel dieser Preisverleihung.

Damit möchte ich Volker Türk auch von meiner Seite sehr herzlich zu dem von unserer Universität verliehenen Menschenrechtspreis gratulieren.

 

Dankesrede Dr. Volker Türk, Stellvertretender UN-Flüchtlingshochkommissar für Schutzfragen:

Es ist für mich eine große Ehre, den Menschenrechtspreis der Universität Graz verliehen zu bekommen und ihn stellvertretend für den Flüchtlingsschutz und die Institution, die dahinter steht – das Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR), mit der ich seit langem eng verbunden bin – annehmen zu dürfen. Für mich fügt sich hier Persönliches mit der Suche nach einer besseren Welt als Teil von etwas Kollektivem auf vielerlei Weise zusammen, und ich will Ihnen das gerne näher erläutern.

Zuvor aber möchte ich betonen, dass es vor allem in diesen Tagen eminent wichtig ist, dem Flüchtlingsschutz ein besonderes Augenmerk zu schenken, und ich danke dem Senat der Universität Graz für seine Auswahl von tiefstem Herzen. Der Flüchtlingsschutz ist eine ganz wichtige Säule der Menschenrechte und hat tatsächlich Unglaubliches geleistet. In den Jahrzehnten seit seiner Entstehung hat der moderne, internationale Flüchtlingsschutz Millionen von Menschen nicht nur das Leben gerettet, sondern ihnen auch die Chance auf eine neue Zukunft gegeben. In den letzten zehn Jahren hat UNHCR beispielsweise insgesamt fast einer Million Flüchtlingen durch „Resettlement“ eine neue Heimat in Drittländern ermöglicht.

Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht. Art. 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 stellt dies klar fest. In der Weiterentfaltung des Asylrechts steht die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 im Mittelpunkt als einer der ersten großen Völkerrechtsverträge nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Tradition des Asyls ist viel älter und geht auf die Antike zurück, wo der Tempel ein anerkannter Zufluchtsort war. „Asylon“ – das altgriechische Wort für „unverletzlich“, wie so oft, eine Ironie der Geschichte. Damals wie heute kann es passieren, dass sich das Leben für die oder den Einzelnen mit einem Schlag verändert, aufgrund von Krieg, Verfolgung wegen politischer Einstellung, der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit oder weil man sich als Frau althergebrachten Traditionen widersetzt, beispielsweise einer Zwangsheirat.

In unseren Breiten kann man das bisweilen schwer nachvollziehen. Allerdings zeichnet sich auch in Österreich seit der Ankunft von bedeutend mehr Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak ein Bewusstwerdungsprozess ab, der ein behütetes Leben, wie wir es im Westen gewohnt sind, in weiten Teilen der Welt als keineswegs selbstverständlich erscheinen lässt.

Europa ist heute viel stärker als in vergangenen Jahrzehnten mit den Auswirkungen der globalen Flüchtlingstragödie konfrontiert. Dies ist unbestreitbar. Ebenso unbestreitbar ist aber auch, dass die große Mehrheit der Flüchtlinge und Vertriebenen in der Region bleibt, aus der sie kommt. Genauer gesagt: Zwei Drittel der Schutzsuchenden können noch nicht einmal ihr Heimatland verlassen. Die Zahlen belegen dies: Im letzten Jahr befanden sich über 60 Millionen Menschen auf der Flucht, 94 Prozent von ihnen in den ärmsten und am wenigsten entwickelten Winkeln unserer Erde. An dieser Tatsache hat sich trotz der höheren Flüchtlingsankünfte in Europa nichts geändert. Nach wie vor befindet sich der Großteil der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen außerhalb Europas. Länder mit wesentlich schwächerer Wirtschaft, kaum tragfähigen Sozialsystemen und oft gefährdeter Stabilität tragen die Verantwortung für die meisten der 98 Prozent der Flüchtlinge und Vertriebenen, die sich nicht in Europa befinden.

Der Libanon ist dabei ein ganz besonderes Beispiel – mit ungefähr 1,5 Millionen syrischen und palästinensischen Flüchtlingen bei einer Bevölkerung von ca. 4,5 Millionen Menschen. Auf Österreich umgelegt hieße dies: 2,8 Millionen Flüchtlinge bei einer Bevölkerung von 8,5 Millionen. Diese Zahlen illustrieren eindrücklich, was das für ein Land bedeutet. Allein die so unheilvoll miteinander verwobenen Konflikte in Syrien und dem Irak haben 14 Millionen Menschen heimatlos gemacht. Am schlimmsten betroffen von Krieg und Vertreibung sind Kinder und Familien. Tagtäglich sehen wir Eltern, die in all der Not, in der sie sich befinden, alles daran setzen, ihren Kindern eine Chance auf eine Zukunft zu geben.

Ich erwähne dies nicht, um die Entwicklung in Europa in den letzten Monaten kleinzureden, sondern aus der Sicht einer Organisation, die gleichzeitig mit so vielen Nothilfeeinsätzen auf verschiedenen Kontinenten beschäftigt ist wie niemals zuvor in ihrer mittlerweile 65-jährigen Geschichte. Ich war Ende Februar im Nordosten von Nigeria, wo die Terrororganisation Boko Haram wütet. Die Rektorin der amerikanischen Universität erzählte mir in Yola (Adamawa State), dass die lokale Bevölkerung innerhalb von ein paar Tagen Unterkunft und Verpflegung für 400.000 oft schwer traumatisierte Binnenvertriebene finden musste. Sie fragte mich, wenn die Bevölkerung von Yola das in einer der ärmsten Gegenden von Nigeria schafft, warum nicht die Europäer? Ich konnte ihr nicht wirklich eine Antwort geben. Interessanterweise haben diese Geschehnisse auch die Universität in Yola verändert und zu einem humanitären Akteur gemacht, wo sich die universitäre Ausbildung mit der Praxis unmittelbar verbindet, zum großen Vorteil der Studentinnen und Studenten, wie mir die Rektorin mitteilte. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch der Universität Graz herzlich gratulieren für ihr Engagement für Flüchtlinge und im Bereich der Menschenrechte.

Die Heimat zu verlassen, ist niemals etwas Leichtes und zumeist der letzte Schritt auf einem Leidensweg, der gepflastert ist von schweren Menschenrechtsverletzungen, Folter, Gewalt, oft mehrmaliger Vertreibung und Not im eigenen Land. In den mehr als 25 Jahren meiner Arbeit mit Flüchtlingen bin ich mit Tausenden von Schicksalen in Berührung gekommen, und ich habe von dem gelernt, was mir Frauen, Männer und auch Kinder von ihrem Leben erzählt haben – was es heißt, oft von einem Tag zum anderen alles hinter sich zu lassen, aber auch zu erfahren, welche Hoffnungen es weckt, ein neues Leben anfangen zu dürfen. Ich empfinde meine Arbeit mit Flüchtlingen und den Vereinten Nationen als unglaubliches Privileg trotz der Abgründe von Krieg und Gewalt, die Menschen zu Flüchtlingen machen. Meine persönliche Erfahrung mit Flüchtlingen ist, dass sie unser Leben bereichern und uns im positiven Sinne herausfordern.

In der letzten Zeit habe ich in Österreich und anderswo in Europa sowohl in der politischen Auseinandersetzung als auch in der Öffentlichkeit bisweilen sehr schrille Stimmen vernommen, die den so fundamentalen Grundkonsens zur Asyl- und Flüchtlingspolitik in Frage stellen. In den achtziger Jahren, als ich am Völkerrechtsinstitut in Wien arbeitete, ging ich oft durch den Sigmund Freud Park, wo ein Gedenkstein an eine seiner Erkenntnisse erinnert: „Die Stimme der Vernunft ist leise.“ Ich muss sagen, dies kommt mir heute oft in den Sinn.

Ich möchte daher näher auf die zentrale Frage eingehen, warum die Institution des Asyls so wichtig ist.

Menschen Schutz und eine Zukunft zu bieten ist eine Errungenschaft der Menschlichkeit und der Menschheit – eine zivilisatorische Leistung, die ihren Niederschlag unter anderem auch im Völkerrecht gefunden hat, als Teil unseres Rechtssystems. Dies darf man nicht leichtfertig aufgeben, selbst wenn Gesetze in rascher Abfolge und bisweilen ohne gebührende Achtsamkeit beschlossen werden, wie auch zuletzt Ende April im österreichischen Parlament.

Während meiner Schulzeit in Linz hat mich die Allgemeine Menschenrechtserklärung zutiefst berührt. Ich erinnere mich genau daran, wie ich als 15-Jähriger diesen Text zum ersten Mal las und ihn als Inspiration für mein eigenes Leben wahrnahm. Damals habe ich den Entschluss gefasst, mich für eine bessere Welt und insbesondere für Menschenrechte einzusetzen. Ich las sehr viel, vor allem auch über die Zustände in Entwicklungsländern, über Ungleichheit und Fragen der Gerechtigkeit. Mein besonderes Interesse galt dem Völkerrecht und den internationalen Beziehungen. Es erstaunte mich damals, wie sehr dieses Rechtssystem in seinem traditionellen Ansatz auf Staaten ausgerichtet war und dem Einzelnen keinen Platz einzuräumen schien. Der Menschenrechtsgedanke und insbesondere der Flüchtlingsschutz revolutionierten diese Ausrichtung und gaben dem Recht des Einzelnen seinen gebührenden Platz, vor allem in jenen Fällen, wo der Staat nicht fähig oder willens ist, den Einzelnen zu schützen.

Wir dürfen nicht vergessen, dass auch Österreich ein Land war, das in seiner Geschichte Flüchtlinge hervorgebracht hat. Einer meiner Vorgänger bei UNHCR, Paul Weis, war ein österreichischer Flüchtling. Ich begegnete ihm einmal, kurz vor seinem Tod in Genf, mit großer Ehrfurcht. Paul Weis war nicht nur maßgeblich an der Ausarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention beteiligt, er war in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch der erste „Direktor für den internationalen Rechtsschutz“ im damals neugegründeten UNHCR. Auch der frühere Bundeskanzler Bruno Kreisky war ein Flüchtling aus Österreich in Schweden. Wie er in seiner Autobiographie beschrieb, war es eine seiner Ambitionen während seiner Kanzlerschaft, Österreich untrennbar mit dem Flüchtlingsschutz zu verbinden – ähnlich wie die Schweiz untrennbar mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz verbunden ist.

Ich freute mich daher sehr, als ich im Herbst des letzten Jahres von dem enormen Engagement Österreichs, sowohl von der österreichischen Bevölkerung, die allermeisten davon ehrenamtlich tätig, als auch von den Behörden zugunsten von Flüchtlingen erfuhr. Es ist schon interessant, dass Menschen, die direkten Kontakt mit Flüchtlingen haben, diejenigen sind, die mit ihnen keine Probleme haben. Meinungsumfragen bestätigen das immer wieder. Hut ab vor den vielen Österreicherinnen und Österreichern, die ihre Herzen öffnen und sich auf das vermeintlich Fremde einlassen. Manche Landstriche und Gemeinden sind durch die Aufnahme von Flüchtlingen wiederbelebt worden, und Tausende Menschen in Österreich und anderswo in Europa haben in diesem Zusammenhang wirklich Großartiges geleistet.

Vergessen wir nicht, dass aufgrund des Zweiten Weltkriegs in den vierziger Jahren in Europa ca. 60 Millionen auf der Flucht waren. Ich selbst wurde 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geboren. Als Jugendlichen hat mich die Auseinandersetzung mit den schrecklichen Geschehnissen in der Zeit des Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkriegs zutiefst geprägt und angespornt für meinen späteren Berufs- oder sollte ich Berufungsweg sagen. Immer wieder stellte ich mir die Frage, wie all dies passieren konnte in unserem Land und in Europa. Wieso diese Gleichgültigkeit der Mehrheit angesichts des schrecklichen Leidens der jüdischen Bevölkerung, politisch Oppositioneller oder sonst Andersdenkenden?

Auch Österreich beherbergte seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges Hunderttausende von Menschen und hat das alles geschafft, auch zu Zeiten, wo dieses Land viel ärmer war als heute. Ziemlich genau vor 60 Jahren, 1956, kamen innerhalb von wenigen Monaten ungefähr 180.000 ungarische Flüchtlinge nach Österreich, und der damalige Innenminister Oskar Helmer erhielt sogar von UNHCR den Nansen Preis als Ausdruck der Anerkennung für seine Verdienste. Und was manchmal in Österreich in diesem Zusammenhang vergessen wird: Damals wurde Österreich als Erstaufnahmeland von Flüchtlingen nicht alleine gelassen – im Gegenteil: Mit Hilfe der internationalen Staatengemeinschaft konnte UNHCR innerhalb von zwei Jahren fast 170.000 ungarische Flüchtlinge in Drittländern neu ansiedeln. Und Österreich hat auch in den Jahrzehnten danach stets bei der Bewältigung von Flüchtlingskrisen mitgeholfen, ganz besonders natürlich in den neunziger Jahren bei der Aufnahme von bosnischen Flüchtlingen.

Ich möchte auch klar betonen, dass es ohne den herausragenden Beitrag einiger Staaten – und dies gilt für Politik, Verwaltung und Gesellschaft – bei der Aufnahme Schutzsuchender in Europa im letzten Jahr zu einer katastrophalen Situation gekommen wäre, mit unabsehbaren humanitären Folgen. Ich denke hier an Deutschland, Schweden oder Österreich, aber auch Griechenland und Italien. Klar ist aber auch: Es kann nicht einigen wenigen Ländern überlassen sein, Flüchtlingsschutz für eine große Zahl von Menschen zu leisten. Diese Haltung steht dem Gedanken der internationalen Verantwortungsteilung, einem der tragenden Prinzipien, aus dem die Genfer Flüchtlingskonvention entstanden ist und ihre zivilisatorische Kraft schöpft, diametral entgegen.

UNHCR arbeitet zurzeit fieberhaft daran, dieses Prinzip verstärkt im Völkerrecht zu verankern. Der Gipfel zu Flucht- und Migrationsfragen anlässlich der UN-Generalversammlung am 19. September gibt uns in diesem Jahr eine einmalige Gelegenheit dazu. In der Zwischenzeit dürfen wir allerdings nicht der Versuchung erliegen zu glauben, dass eine fundamental internationale Angelegenheit wie der Flüchtlingsschutz durch einseitige, nicht aufeinander abgestimmte oder überhaupt rein nationalstaatliche Scheinlösungen zu bewältigen ist. Denn nationalstaatliche Maßnahmen, wie Obergrenzen, Grenzzäune oder Einschränkungen der Rechte von Flüchtlingen, verschieben Probleme nur woanders hin und bieten keine Lösungen – schon gar nicht für Flüchtlinge, die auf ihrer Suche nach Schutz vor Krieg und Verfolgung ganz besonders die Leidtragenden solcher Maßnahmen sind. Und gerade dieser Umstand sollte für uns Grund genug sein, uns weiterhin mit aller Kraft für gemeinsame Lösungen für den Flüchtlingsschutz einzusetzen.

Wir dürfen auch nicht vergessen, dass Flüchtlinge eine Bereicherung für ein Land darstellen können. Die OECD hat Anfang dieses Jahres Studien veröffentlicht, die belegen, dass nach anfänglichen Investitionen und Integrationsmaßnahmen die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen in Industrieländern von Flüchtlingen profitieren, nicht zuletzt auch aufgrund demographischer Entwicklungen, insbesondere sinkender Geburtsraten, Lücken im Arbeitsmarkt und in der Finanzierung von Pensionssystemen. Die Weltbank hat vor kurzem eine Studie über die Vorteile des Arbeitsmarktzugangs von syrischen Flüchtlingen in Jordanien veröffentlicht. All dies weist darauf hin, dass es möglich ist, eine schwierige Situation zum Vorteil aller Beteiligten umzukehren. Aber es muss uns bewusst sein, dass Flüchtlinge am Anfang ihrer Integration Unterstützung brauchen. Maßnahmen hingegen, die darauf abzielen, ihnen diese Unterstützung weitestgehend zu entziehen, werden dazu führen, dass Integrationsprozesse verlängert, wenn nicht gar verunmöglicht werden.

Was ich mit all diesen Beispielen aus der jüngsten Geschichte und den genannten Studien aufzeigen will, ist, dass wir in Österreich historisch eine ganz besondere Verantwortung haben, was den Flüchtlingsschutz betrifft. Aber auch, dass wir Herausforderungen in der Vergangenheit bewältigen konnten und heutzutage noch viel mehr schaffen können, und dass in all diesen schwierigen Situationen auch bedeutende Vorteile für die Gesellschaft liegen, auch wenn uns Demagogen und Populisten etwas anderes einreden wollen.


Meine Hoffnung ist, dass trotz aller Schwierigkeiten, die zweifelsohne mit der Flüchtlingsaufnahme verbunden sind, wir zu einem Weg finden, der nicht von Angst bestimmt ist, sondern von einer von Vernunft und Offenheit geprägten Auseinandersetzung. Meine Hoffnung ist auch, dass die Politik diese so wichtige humanitäre Angelegenheit nicht für populistische Zwecke nutzt und auch nicht kurzfristig politisches Kleingeld daraus schlägt. Vergessen wir vor allem nicht, dass es sich bei Flüchtlingen um ganz individuelle Menschen wie wir alle hier Versammelten handelt, mit Fähigkeiten, Schicksalsschlägen und Hoffnungen. Versetzen wir uns einen Moment in die Situation von Flüchtlingen - glauben Sie mir, wir würden uns nichts sehnlicher wünschen, als ein Dach über dem Kopf, den Schutz unserer Würde und eine Geste des Verständnisses.

Mit der Annahme dieses so ehrenvollen Preises erlauben Sie mir am Ende eine Widmung für diejenigen auszusprechen, die unseren Respekt so sehr benötigen, jene, deren Menschenrechte verletzt werden und denen keine Wahl bleibt, als sich auf die Flucht zu begeben. Für uns gilt, was die amerikanische Dichterin Jane Hirshfield so treffend auf den Punkt gebracht hat:

„Die Welt verlangt von uns nur unsere Kraft,
und wir geben.
Dann verlangt sie mehr, und wir geben.“

(Jane Hirshfield: The Weighing)

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